Das folgende Szenario ist vielen bekannt: Ein oder zwei langjährige Kollegen verlassen das Unternehmen, und schon hakt es an alle Ecken und Kanten. Die jahrelangen Erfahrung und das angesammelte Wissen der Ausgeschiedenen sind weg, und die Chefs und verbleibenden Kollegen bleiben ratlos zurück.
Gerade der demografische Wandel verstärkt den Wissensverlust in Organisationen erheblich. Mit dem Eintritt in den Ruhestand, nehmen die ausscheidenden Babyboomer einen Wissensschatz mit, den junge Fachkräfte noch nicht besitzen. Dieser Verlust an Fach- und Erfahrungswissen kann im schlimmsten Fall zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit für das Unternehmen führen.
Doch soweit muss es nicht kommen. Unternehmen können das Know-how ihrer Mitarbeiter rechtzeitig sichern, und so für alle in der Organisation verfügbar machen. Der folgende Beitrag soll daher eine Einführung in das Thema Wissenstransfer bieten.
Wissenstransfer – eine Definition
Der Begriff Wissenstransfer steht für den Austausch und die Weitergabe von Informationen und Wissen innerhalb einer Organisation. Er ist Teil des Wissensmanagements. Wissenstransfer kann auf verschiedene Arten erfolgen. Zum einen über einen systematischen Prozess und gezielte Maßnahmen, die oftmals von der Personalentwicklung gesteuert werden. In anderen Fällen auch über informelle und ungeplante Aktivitäten, wie z.B. ein kurzer Plausch an der Kaffeemaschine.
Erfolgreiche Wissenstransfer ist die Voraussetzung für Lernen und Weiterentwicklung und wichtiger Bestandteil einer Lernenden Organisation. Wichtige Voraussetzung für erfolgreichen Wissenstransfer ist daher die Etablierung einer solche Kultur des lebenslangen Lernens.
Vorteile von Wissenstransfer
- Mehrfachnutzung und Vermeidung von Doppelarbeit
Durch Wissensteilung und -Verteilung im gesamten Team, können sowohl Fachwissen als auch organisatorisches Wissen von allen Beteiligten genutzt werden. Dadurch muss das Rad nicht ständig neu erfunden werden und Doppelarbeit wird so reduziert. Dies führt zu Zeit- und Kostenersparnis. - Zufriedene Mitarbeiter durch effizientes Arbeiten
Stehen Mitarbeitern alle benötigten Informationen zur Verfügung, können sie ihre Arbeit reibungsloser tätigen. Dies führt zu mehr Zufriedenheit bei der Arbeit und stärkt die Mitarbeiterbindung. - Generierung neuer Ideen durch Wissens-Teilung und Wissenstransfer
Zahlreiche Austauschformate im Wissenstransfer dienen nicht nur der Wissensteilung, sondern können auch zur Entwicklung neuer Ideen genutzt werden, die später ggfs. in Erfindungen oder Innovationen umgewandelt werden. Dadurch wird das Innovationspotential des Unternehmens gesteigert. - Das Wissen bleibt im Unternehmen
Das Erfahrungswissens von ausscheidenden Personen bleibt der Organisation erhalten. - Schnellere Einarbeitung von neuen Mitarbeitern
Durch einen strukturierten Wissenstransfer erhalten nachfolgende Personen einen besseren Einblick in das Aufgabengebiet und die Tätigkeiten der ausscheidenden Person. Sie können so wesentlich schneller ihre neuen Aufgaben übernehmen. Hat die ausscheidende Person wichtiges Know-how, z.B. durch Leitfäden, Vorlagen, Checklisten oder Adressverzeichnisse dokumentiert, erleichtert dies zusätzlich die Einarbeitung. - Wertschätzung zum Abschied
Schließlich stellt Wissenstransfer eine besondere Geste zum Abschied einer ausscheidenden Person dar. Durch Erfassung ihres Erfahrungswissens wird noch einmal deutlich gemacht, was diese Person für die Organisation geleistet hat. Die Person erfährt somit auch Wertschätzung für das beruflich Erreichte. - Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit durch effiziente Wissensnutzung
Wird Wissen in der Organisation gehalten und effektiv genutzt, sodass alle Mitarbeiter reibungslos ihre Arbeiten tätigen können, ist dies ein entscheidender Faktor zum Erhalt der Wettbwerbsfähigkeit.
Implizites Wissen nutzen
Beim Wissen, das im Rahmen des Wissenstransfers erfasst und übertragen werden soll, handelt es sich um das sogenannte implizite Wissen – also um Wissen, das in den Köpfen der einzelnen Beschäftigten steckt, und bisher nicht erfasst oder dokumentiert wurde. Zum impliziten Wissen gehören z.B. Wissen über Arbeitsprozesse und -Abläufe, Erfahrungen, Problemlösungsansätze oder eigene Netzwerke.
Tätigkeiten mit hohen impliziten Wissensanteilen sind z.B.
- Konzeptionelles, planerisches, oder kreatives Arbeiten
- Management komplexer Abläufe und nicht-standardisierter Prozesse
- Entwicklung neuer Lösungen
- Aufbau und Pflege von Kunden- und Lieferantenbeziehungen
- Einschätzung der Verhaltensweisen von Kundschaft, Geschäftspartnern, Kollegen und Vorgesetzten
Um dieses implizites Wissen auch nutzen zu können, muss es in explizites Wissen – also erfasstes oder dokumentiertes Wissen – umgewandelt werden. Diesen Vorgang nennt man Externalisierung. Externalisierung erfolgt in der sogenannten Wissensspirale nach Nonaka und Takeuchi.
(SECI-Modell – Wissenspirale nach Nonaka und Takeuchi)
Das Implizite Wissen, macht den größten Teil des Wissens einer Organisation aus. Ca 90 % des Wissens einer Organisation stecken in den Köpfen der Mitarbeitenden, und wurden bisher nicht erfasst. Genau dieses Wissen gilt es im Rahmen des Wissenstransfer weiterzugeben.
Methoden zur Weitergabe von Wissen
Es gibt viele verschiedene Methoden und Wege, um Wissenstransfer zu leisten. Diese können grob in drei verschiedene Arten eingeteilt werden:
- Wissen dokumentieren
Verschriftlichen, filmen, vertonen oder irgendwie sonst mit Medien festhalten. - Wissen weitergeben
Wissen in direktem Austausch an eine oder mehrere Personen weitergeben - Neues Wissen schaffen
Im gemeinsamen Austausch mit einer oder mehreren Personen wird neues Wissen geschaffen
Kodifizierter Wissenstransfer
Bei der Wissensdokumentation handelt es sich auch um einen kodifizierten Wissenstransfer, bei dem Wissen durch Text-, Bild- oder Tonaufnahmen und mithilfe von Medien dauerhaft verfügbar gemacht wird. Dies ist die wesentlichste Form der Externalisierung. Leider ist sie auch am aufwendigsten und bedarf regelmäßiger Aktualisierung
Kodifizierter Wissenstransfer ermöglicht somit die Weitergaben von Wissen an einen großen Personenkreis. Insbesondere ein Setzen von Arbeits-Standards und verpflichtende Dokumentation von Arbeitsabläufen, Best Practices oder Lessons Learned stellt sicher, dass Wissen systematisch erfasst und dokumentiert wird.
Kodifiziertes Wissen kann z.B. in folgenden Formen festgehalten und zur Verfügung gestellt werden:
- Handbücher
- Checklisten
- Formulare, Muster
- FAQs
- Wikis
- Video-Tutorials
- Audio-Dateien, Podcasts
- Lessons Learned
- Best Practices
- Success Stories
- Interviews
- Storytelling
- Wissensbaum
- Wissenslandkarte / Vertretungswegweiser
- Adressverzeichnisse
- Expertenverzeichnisse, Yellow Pages
Personifizierter Wissenstransfer
Im Gegensatz zur Wissensdokumentation erfolgt die Wissensweitergabe und die Generierung neuen Wissens in Form eines personifizierten Wissenstransfers. Beim personifizierten Wissenstransfer wird das Wissen in einem persönlichen Austausch direkt auf eine oder mehrere konkrete Personen übertragen. Diese Form des Wissenstransfers kann sowohl formell, z.B. in Form von Workshops oder strukturierten Maßnahmen der Personalentwicklung, als auch informell bei einem Gespräch an der Kaffeemaschine erfolgen.
Kontinuierlicher oder einmaliger Wissenstransfers
Wissenstransfer kann auf unterschiedliche Dauer angesetz sein:
- Kontinuierlicher Wissenstransfer im bestehenden Arbeitsverhältnis
- Einmaliger Wissenstransfer bei ausscheiden einer Person
1. Kontinuierlicher Wissenstransfer
Beim kontinuierlichem Wissenstransfer handelt es sich um Maßnahmen und Aktivitäten, die das gesamte Team oder mehrere Personen betreffen. Die Wissensteilung und -Verteilung erfolgt dabei neben dem laufenden Tagesgeschäft und wird entweder direkt darin integriert, oder durch gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen die parallel zur Arbeit laufen.
Beispiele für Methoden zum kontinuierlichen Wissenstransfer:
- Interne Weiterbildung
- Lunch & Learn
- Peer Learning
- Communities of Practice
- Wissenszirkel
- Training on the Job
- Job Rotation
- Knowledge Café
- (internes) Barcamps
- Hakathon
- MOOC
- Online-Learning-Community
- Jam-Sessions
- Informeller Wissenstransfer (z.B. Plauderecken, Kaffeeküchen, Lernräume)
- Experimentierräume
2. Einmaliger Wissenstransfer beim On- und Offboarding
Wissenstransfer im Rahmen von On- und Offboardings finden in der Regel nur zwischen der ausscheidenden Person und den jeweiligen nachfolgenden Personen statt. Also zwischen zwei oder mehreren Personen. Hier sind der Transfer-Anlass und das Ziel viel konkreter. Auch ist der Druck meist sehr viel höher, da nur noch einige wenige Monate bleiben, um noch möglichst viel Wissen auf die nachfolgenden Personen zu übertragen.
Beispiele für Methoden zum Wissenstransfer beim On- und Offboarding, bzw. zur langfristigen Nachfolgeregelung:
- Altersgemischte Teams
- Mentoring
- Reverse Mentoring
- Expert Debriefing
- Wissensstafette
- Lerntandem
- Wissenslandkarte
- Wissensbaum
Insbesondere moderierte Übergabegespräche wie Expert Debriefings und Wissensstafetten sind eine häufige und wichtige Methode, um den Wissenstransfer im Rahmen von On- und Offboardings zu sichern.
SWOT-Analyse Wissenstransfer:
Wissenstransfer ist immer mit Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken verbunden.
Fazit:
Systematischer Wissenstransfer ist entscheidend, um Wissen langfristig im Unternehmen zu halten. Neben kontinuierlichen Wissenstransfer-Aktivitäten, die in den beruflichen Alltag mit eingebunden werden, sind vor Allem Maßnahmen zur Wissensweitergabe im Rahmen von On- und Offboardings wichtig, um langjähriges Erfahrungswissen beim Ausscheiden von Mitarbeitern noch zu erfassen. Wissen kann dabei in dokumentierter Form oder im direkten Austausch zwischen zwei oder mehreren Personen weitergegeben, oder in Gruppen neu entwickelt werden. Wissenstransfer sorgt somit für effektiveres Arbeiten, zufriedenere Mitarbeiter und kann so dauerhaft zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit beitragen.
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